Schon im 6. Jahrhundert nach Christus wurden in China gymnastische Kampfübungen zur körperlichen Ertüchtigung und Meditation gelehrt, und in den folgenden Jahrhunderten stetig verfeinert. Unter anderem wurden dazu Tiere als Vorbilder genutzt. Alte Meister beobachteten Tiere in Ihrem Jagd- und Fluchtverhalten, und erkannten und analysierten deren dem Menschen überlegenen Abwehr- und Angriffstechniken. So begann man diese Beobachtungen und Erkenntnisse in die verschiedenen Kata einfließen zulassen, wobei im Laufe der Zeit unzählige Techniken und Abläufe entstanden, die wiederrum miteinander kombiniert wurden.
Im Karate sind bis zum heutigen Tage noch 5 Tierformen (Schlange, Tiger, Kranich, Leopard und Drache) enthalten. Es gibt in anderen Kampfkünsten wie z.B. in den verschiedenen Kung-Fu-Stilen noch viele andere Tierformen (Panther, Adler, Pferd, Affe, Gottesanbeterin, Bär, Stier, Widder, uvm.). Die Anzahl 5 ist keineswegs zufällig. Viele Kampfkünste bestehen aus jeweils 5 Tierformen, da diese im übertragenden Sinne für 5 Elemente (Feuer, Wasser, Erde, Holz/Wind und Metall), die 5 Hauptrichtungen der Erde (die 4 Himmelsrichtungen und die Mitte) oder auch die 5 Finger der menschlichen Hand stehen. Auf diesem Prinzip der Fünf basiert auch die Philosophie des alten China, wenn die Rede von der Lebensenergie Qi (japanisch: Ki) ist. Alle 5 Elemente sind miteinander verbunden, und stehen in engem Kontakt mit den anderen. Keines der Elemente kommt ohne das andere aus, und müssen immer im Einklang sein.
Der Kranich steht für Balance, Flexibilität, Gleichgewicht, Ausbildung und Dehnung der Sehnen, Kräftigung, Vitalitätssteigerung, hohe Stellungen auf einem Bein, weit ausgeholte und sehr kräftige Schlagbewegungen, rasche Abwehr- und Ausweichbewegungen. Der Kranich wird durch den kleinen Finger der Hand symbolisiert, und ist das Symbol des Karate-Stils Wado-Ryu, welcher sehr viel Wert auf Ausweichbewegungen und Gewichtsverlagerungen legt. Zu den Waffen des Kranichs zäht z.B. die Kranichkopffaust (Kakuto, Washide -> Picken des Schnabels), wie es in der Kata Gojushio-Dai zum Einsatz kommt. Kaum eine Kata kommt ohne die Stände des Kranichs aus. Hierzu zählen unter anderem Kosa-Dachi (u.a. Kata Heian-Godan, Jion), Renoji-Dachi (Kata Kanku-Dai / Kanku-Sho) oder der Sagi-Ashi- bzw. Tsuru-Ashi-Dachi (Kata Gankaku).
Der Tiger steht für Kraft, Mut, Zielstrebigkeit, Stärke und Kräftigung/Stärkung von Knochen, Gelenken und Muskeln. Der Tiger wird symbolisiert durch den Mittelfinger der Hand. Er gilt als stärkstes Tier auf Erden, und ist deshalb dem Element Erde zugeordnet. Zu den Waffen des Tigers zählt primär das Tigermaul (Koko), wie es in den Kata Empi (Kumade / Übersetzt auch Bärentatze) oder auch Jion und Jitte (Teisho) zum Einsatz kommt. Wegen der starken und geradlinigen Angriffe des Tigers ist er das Symbol des Karate-Stils Shotokan.
Die Schlange steht für vitale Energie, ununterbrochene fließende Bewegungen, rhythmische intensive Atmung, schnelle und stechende Bewegungen, Würgegriffe, sowie Flexibilität. Symbolisiert wird die Schlage durch den Zeigefinger der Hand. Zu den Waffen zählt z.B. das Schlangenmaul (Ippon Nukite), wie es in der Kata Unsu zum Einsatz kommt.
Das Fabelwesen Drache steht für Konzentrationsvermögen, geistige Stärke, Mentaltraining und Ausbildung der Sehkraft. Er wird symbolisiert durch den Daumen einer Hand, und kontrolliert die übrigen Finger, die jeweils für die körperlichen Fähigkeiten stehen. Zu den Waffen des Drachen zählen Drachenkopffaust (Nakadaka Ippon Ken / kommt u.a. in der Kata Chinte vor), Drachenschwanz (Tritttechniken z.B. Mae-Tobi-Geri wie aus Kata Kanku-Dai) und Ausweichbewegungen.
Der Leopard steht für Mut, Entschlusskraft, Schnelligkeit, Reaktion, große Gewandtheit, Ausdauer, Koordination und blitzschnelle Angriffe und Konter in die Verteidigungslücken des Gegners. Symbolisiert wird er durch den Ringfinger der Hand. Zu den Waffen des Leoparden zählen z.B. Leopardenfaust (Hiraken) und Handballen (Teisho / u.a. Kata Jion).